An Dr. Eduard Korrodi
Val-Mont, am 20. März 1926
Mein werter Herr Dr. Korrodi,
wenn Sie neulich, in jener Angelegenheit, die mir
nachging, nur den, übrigens erfolgreichen Vermittler machen konnten, so haben Sie mir andererseits,
durch die große Bereitschaft in Ihren Zeilen, für die
eigene Sache ein wahres Sprungbrett vorbereitet. Ich
springe also (mit einem kurzen Anlauf zuvor).
Sie wissen (ich schäme mich fast, diesen Umstand
immer wieder vorzuschieben), daß ich, im allgemeinen nicht und nie lese, was etwa über meine Publikationen veröffentlicht wird (um die zentrale Haltung im Innern meiner Arbeit nicht aufgeben zu
müssen), so wären wohl auch gewisse kleine Kelche,
in denen, scheints, allerhand Neige abstand, an mir
vorbeigegangen, als man sie (gelegentlich des Abdruckes einiger französisch geschriebener Gedichte)
in deutschen Zeitungen und Zeitschriften verabreichte. Der Geschmack dieser Destillate muß indessen wirklich recht unangenehm gewesen sein, denn
er hatte zur Folge, daß mir, von mehreren Seiten,
junge Freunde ihre Kräfte und Waffen anboten, zu
meiner Rechtfertigung oder Verteidigung. In einem
einzelnen Falle hab ich sogar einen derartigen Dienst
angenommen, weil in einem gewissen Artikel, den
ich vorgelegt bekam, der Angriff sich so eigentümlich verschoben hatte, daß nicht ich, sondern ein
Kreis von Menschen, dem ich von lange her lauter
Gutes verdanke, angefeindet erschien. Im Übrigen
mochte der Lärm, den eine Nebensache aufgeregt
hatte, mit dem Verklingen seinen Ablauf haben.
Nun sind aber diese Woche die letzten Korrektur-Bogen jenes Buches französisch entworfener Verse
durch meine Hände gegangen, das in der Kollektion
"Un OEuvre, un Portrait" (aux Editions de La Nouvelle Revue Francaise) nächstens an den Tag kommen wird. Ich weiß nicht, ob das bescheidene Erscheinen der kleinen Auswahl die Vorwürfe, die sich
wider mich erhoben haben, erneuern und vermehren
wird. Aber ich bitte Sie, lieber Herr Dr. Korrodi,
schon heute um die Gunst, mir in Ihnen einen Mitwisser schaffen zu dürfen und einen Vertreter der
wirklichen Anlässe, die meiner französischen Nebenleistung und ihrer Bekanntmachung zugrunde liegen.
Das Absurde erscheint mindestens überflüssig;
und in diese Rubrik, des überflüssig Absurden, müßte
ich die Vermutung einstellen, zu denen meine Versuche, einer nicht ursprünglich meinigen Sprache ein
Eigenes und Eigentümliches abzuringen, den Vorwand geboten haben.
Es ist schließlich niemand (nicht wahr?) verpflich-
tet zu wissen, welche Bedeutung die große schweizerische Gastfreundschaft, nach jenen Jahren tiefster
Verstörung und Unterbrechung, für die Fortsetzung
meines Lebens und meiner Arbeit mehr und mehr
annehmen sollte; und ich frage mich, ob für mich
eine Pflicht besteht, mich über diese Fügungen auszusprechen? Ich hielt es für hinreichend, ihre Ergebnisse, nach und nach, vorzulegen. Zu diesen gehört,
nach den Sonetten an Orpheus und dem Band der
Elegien, auch diese Sammlung französischer Verse,
die ich recht passend mit dem (von der Königin Christine von Schweden für gewisse Aufzeichnungen
gewählten) Titel "Nebenstunden" hätte benennen
dürfen. Nebenstunden: in denen gleichwohl ein
Hauptgefühl sich geltend machte. Das Gefühl für
die reine und großgeartete Landschaft, aus der mir,
in Jahren der Einsamkeit und Zusammenfassung,
ein unaufhörlicher und unerschöpflicher Beistand
zugewachsen war. Abgesehen von jenen früheren
jugendlichen Versuchen, in denen die Einflüsse meiner Prager Heimat sich durchsetzen wollten, hatte
ich mich nie mehr hingerissen gefühlt, eine erlebte
Umgebung unmittelbar im Gedicht zu rühmen, sie
zu "singen"; nun erhob sich, im dritten Jahre meines
dort Angesiedeltseins, aus mir eine Walliser Stimme,
so stark und unbedingt, daß die unwillkürliche Wortgestalt in Erscheinung trat, bevor ich ihr das Mindeste gewährt hatte. Nicht um eine beabsichtigte Arbeit handelt es sich hier, sondern um ein Staunen,
ein Nachgeben, eine Überwältigung. Um die Freude,
mich unvermutet an einer mehr und mehr erkannten
Landschaft zu bewähren; um die Entdeckung, mit ihr
umgehen zu dürfen im Bereich ihrer eigenen Laute
und Akzente. Und ganz zuletzt, wenn alles erwähnt
sein soll, um die beglückende Erfahrung, jünger zu
sein, fast jung im Gebrauch einer zweiten Sprache,
in der man bisher nur aufnehmend oder praktisch
betätigt gewesen war und deren steigender Überfluß
(wie man das ähnlich, in jungen Jahren, an der eigenen
erfahren hatte) einen nun, im Räume des namenlosen
Lebens, zu tragen begann.
So ist also, seinen Ursprüngen nach, dieses Buch
Gedichte zunächst ein schweizerisches Buch, und es
war mir recht, daß, neben dem von Freunden gewählten Titel "Vergers", der Name der größeren
Gedicht-Gruppe, um die herum die übrigen Verse
sich angesetzt hatten, der "Quatrains Valaisans", auf
dem Umschlag mit zur Geltung kommen soll.
Nun war, so wenig wie die Entstehung, die Veröffentlichung dieser Gedichte beabsichtigt. Und da
allerdings muß ich gestehen, eine Art Schwäche ge-
zeigt zu haben. Freilich, als ich Paul Valéry, für seine
schöne Revue "Commerce", ein paar Proben anvertraute, schien es mir fast unwahrscheinlich, daß etwas
darunter den Maßen seiner Zeitschrift genügen sollte.
Und selbst als dieses Unerwartete eingetreten war
und die Nouvelle Revue Francaise mich zur Einsendung anderer Verse einlud, da dachte ich noch,
bei weitem nicht, an größere Folgen meiner Nachgiebigkeit. Wenn diese schließlich so weit führen
konnte, daß nun die Buchausgabe einer (von Freunden getroffenen) Auswahl aus meinem französischen
Manuskript bevorsteht, so hat mich zu diesem Zugeständnis und Wagnis eine Reihe von Umständen
bekehrt. Der Wunsch, vor allem, dem Canton du
Valais den Beweis einer mehr als nur privaten Dankbarkeit für soviel (aus Land und Leuten) Empfangenes
wiederzugeben. Der andere Wunsch, Frankreich und
dem unvergleichlichen Paris, die in meiner Entwickelung und Erinnerung eine Welt bedeuten, als ein
bescheiden Lernender und unbescheiden Verpflichteter, sichtbarer verbunden zu sein. Dahinter mitwirkend, die Erwägung, daß für mein Gedicht wohl
kaum je gelingen dürfte, was in Bezug auf die Prosa
der "Aufzeichnungen des M. L. Brigge" kürzlich
erreicht worden ist: eine wirklich entsprechende und
gültige Übertragung. Durch Maurice Betz; in Vor- J
bereitung bei Emile-Paul Freres, Paris, rue de l'Abbay
14. Was man nun durch diese von meiner Arbeit
erfährt, möchte am Ende durch meine französischen
Verse (selbst wenn man sie nur als "Kuriosität" dazunehmen mag) besser ergänzt erscheinen als durch
irgendwelche Bemühungen, die deutsche Sprachgestalt meiner erwachsenen Gedichte einer ungefähren französischen Fassung anzunähern.
Hier schließt, soviel ich sehe, mein Rundgang um die "eigene Sache", die ich, indem ich sie umschritt, keineswegs zu einem befestigten Platze umzugestalten meinte; vielmehr sollte sie sich erst recht herausstellen, in ihrer Offenheit, Wehrlosigkeit und, sozusagen, lyrischen Ländlichkeit.
Irgendwo sollte, für früher oder später, der Maßstab aufbewahrt sein, der denjenigen, die die Ordnung lieben, erlaubt, das Ergebnis "Vergers" in die mich betreffenden Zusammenhänge angemessen einzufügen. Mit denen, die an dem kleinen Buch Ärgernis nehmen, hab ich nichts zu schaffen; mit solchen, die es erstaunt, bin ich durch mein eigenes frohes Staunen verwandt.
Ihnen selbst aber, lieber Herr Dr. Korrodi, fühl ich mich, im Augenblick zu schließen, unter anderem, durch die Überzeugung verbunden, daß Sie, in Ihrer alten und wahren Teilnehmung an mir, wo es darauf ankäme, in Argumenten zu sprechen, ungefähr die, die ich hier anreihe, aus eigener Einsicht dürften gefunden haben.
Dazu kommen alle die anderen Gründe meines Ihnen dauernd und dankbar Verbundenseins.
Ihr ergebener
R.M.Rilke
PS: Die «Revue de Genève» erwies mir die Ehre, in ihrem April-Heft zehn oder zwölf Stücke aus den «Quatrains Valaisans» zu bringen. Der Titel des kleinen Bandes, in der Serie Un Oeuvre, Un Portrait. Lautet: Vergers / Suivi des Quatrains Valaisans...
|