Briefe


An Hermann Pongs

Château de Muzot s/Sierre
(Valais), Schweiz,
am 21. Oktober 1924

Sehr werther Herr Dr. Pongs,
eine nah bevorstehende Reise, die mit ihr zusammenhängenden Abschlüsse und Vorbereitungen, zwingen mich kürzer und schlagwörtlicher zu sein, als ich es sonst den Anregungen gegenüber gewesen wäre, die mir durch Ihren Brief und den «Frage-Bogen» angeboten sind.
Ich muß mich aufs Sachlichste einschränken und gehe nun daran, nach Ausfüllung der Antwort-Seite, ein sie Ergänzendes mit den Antworten zu verbinden, die sich auf einzelne Stellen Ihres Schreibens oder seiner Beilage beziehen.
[...]
Tolstoi: es wäre falsch, den Besuchen bei ihm einen Einfluß auf meine damaligen Arbeiten zuzuschreiben; schließlich bestätigte er mir nur die Entdeckung Rußlands, dir für mich entscheidend war. Seine Gestalt selbst war mir die Verkörperung eines Verhängnisses, eines Mißverstehens, und ergreifend wurde sie für mich dadurch, daß sie, bei allem eigensinnigen Unrecht, das dieser gewaltig Beunruhite sich anthat und Anderen anzuthun beständig bereit war, daß sie, (sage ich) doch so rührend beschützt und gültig wirkte in ihrem Abtrünnigsein an ihren größesten und gekonntesten Aufgaben. Nur so konnte ein junger Mensch, dessen Entschluß das ganze Leben lang Kunst zu machen, schon gefaßt war, jenen widerspruchsvollen Greis auffassen, der in sich an der ständigen Unterdrückung dessen arbeitete, was ihm im göttlichsten Sinne auferlegt worden war; der sich mit unendlicher Mühe bis ins eigene Blut hinein widerrief und mit den ungeheueren Kräften nicht fertig wurde, die sich in seinem unterdrückten und verleugneten Künstlerthum unerschöpflich erneuten. Wie hoch (und rein!) stand er über jenen, den Meisten in Europa, die, im Gegentheil, zeitlebens um diese Kräfte besorgt waren und entschlossen, durch Übung und Fälschung (durch «Litteratur») das gelegentliche Nachlassen oder Ausbleiben ihrer Fruchtbarkeit zu verdecken. Die Begegnung mit Tolstoi (dessen moralische und religiöse Naivitäten keinerlei Anziehung auf mich ausübten, - kurz vor meiner zweiten Reise hatte ich die schmähliche und thörichte Broschüre «Was ist Kunst?» zu allem Überfluß in die Hände bekommen -) bestärkte in mir genau das Gegentheil von dem, worauf er es bei seinen Besuchern mochte abgelegt haben; unendlich entfernt, seiner willkürlichen Absage recht zu geben, hatte ich, bis in sein unwillkürlichstes Benehmen hinein, den Künstler die heimliche Oberhand behalten sehen, und gerade angesichts seines von Weigerungen erfüllten Lebens, steigerte sich in meinem Innern die Vorstellung von dem Rechthaben der künstlerischen Eingebung und Leistung; von ihrer Macht und Gesetzlichkeit; von der schweren Herrlichkeit, zu dergleichen berufen zu sein.
Nur die Begegnung mit Rodin, die mir zwei Jahre später beschieden war, und der jahrelange nahe Umgang mit ihm, konnten den so groß gefaßten Begriff noch weiter bestärken, ihm noch gründlicher recht geben. Hier wäre ein mehr und mehr eingewachsener Irrthum nebenbei zu berichtigen. Ich war, genau genommen, nie (wie es Ihr Frageblatt ausdrückt) «bei Rodin», wenn damit eine Art Anstellung gemeint ist. Als ich, 1902, nach Paris zog, hatte Richard Muther mir den Vorschlag gemacht, über Rodin zu schreiben; auf sein Werk (ob mir gleich von bildender Kunst damals noch wenig, nach seinem eigentlichen Werthe, bedeutend geworden war) schien ich insofern vorbereitet, als meine Frau das Recht hat, sich für eine Schülerin Rodins zu halten; durch sie, die als junges Mädchen ihm die wöchentlichen Arbeiten durch viele Monate (und später immer wieder) hatte bringen dürfen, hatte sich eine Wendung in mir vorbereitet: ich war fähiger geworden, Kunst-Dinge von der Formung her zu ergreifen und schien eine Spur gesicherter vor den zufälligen Überwältigungen durch bloß inhaltliche Bezüge, die auch aus unzulänglichster Gestaltung auf den Unvorbereiteten herüberwirken, wenn sie ihn nur irgendwie angehen. - Zur Zeit da ich nach Paris kam, konnte man Rodin's Werk, mit Ausnahme der wenigen Arbeiten, die damals schon in den Bestand des Luxembourg-Museums gehörten, fast nur bei ihm kennen lernen; so war es natürlich, daß ich oft in jenem Herbst, schließlich täglich, nach Meudon hinausfuhr. Aus unseren, von Anfang an recht lebhaften Gesprächen entwickelte sich rasch eine wirkliche Beziehung, die zu bestreiten, auf der einen Seite, meine fortwährend zunehmende Bewunderung ausreichte, während diesem sich erprobenden Gefühl, von seiten des Meisters, eine Erwiderung entgegenwuchs, die ich, ohne Überhebung, schon am Ausgang des ersten Jahres, eine freundschaftliche nennen durfte. Hielten dann Reisen mich entfernt, wie oft war es ein unerwartetes theilnehmendes Wort Rodins, das mich in meinen eigenen Arbeiten bestärken kam. Im Jahre 1905, während meines Aufenthalts auf einem kleinen schwedischen Schlosse, in der Nachbarschaft von Lund, erreichten mich, von mehreren deutschen und oesterreichischen Städten, Aufforderungen zu Vorträgen über das Thema Rodin; ich sah mich nicht fähig, diesen Ansprüchen vollkommen zu genügen, ohne vorher eine neue Berührung mit dem fortwährend wachsenden Werke eingegangen zu sein und beschloß, im Einvernehmen mit Rodin, früher als es eigentlich meine Absich war, nach Paris zurückzukehren. Auf meine Anfrage, ob ich ihn in Meudon fände, hatte Rodin zustimmend geantwortet, überdies mit der Einladung, ich möchte diesmal bei ihm Wohnung nehmen. Kaum hatte ich dies abgelehnt, traf, erinnere ich, ein Telegramm von Rodin's Sekretär bei mir ein, das jene Einladung so dringend wiederholte, daß ich, sie anzunehmen, nicht länger Bedenken trug. Dieses Telegramm lautete: Monsieur Rodin y tient, pour pouvoir causer. Und damit setzten also jene fünf Monate ein, die ich wirklich «bei Rodin» war; erst als Gast seines Hauses, später, da ich diese Gastlichkeit nicht weiter ausdehnen wollte, ohne ihm dabei (meine eigene Arbeit, des Rodin-Buchs zweiter Theil, war inzwischen abgeschlossen) irgendwie nützlich zu sein, indem ich meine freie Zeit anwandte, ihm bei seiner zahlreichen, immerfort weit rückständigen Korrespondenz mich behülflich zu machen. Ich darf mich der Briefe nicht rühmen, die ich damals für ihn geschrieben habe. Diese Beschäftigung, in der meine Feder, die Eile nicht kennt, nicht die gewandteste war, wuchs mir bald über den Kopf und - was das Schlimmere war - sie drohte unser Verhältnis aus seiner Natur zu drängen, indem sie mich zwang, die uns sonst geläufigen Unterhaltungen oft durch die lästigsten Mahnungen an Briefschulden und andere Verpflichtungen des schriftlichen Verkehrs zu ersetzen, was nothwendig zu einer Entstellung einer Beziehung führen mußte, die heil und fruchtbar zu erhalten für mich unendlich entscheidend war. Ich zog also schon im Mai des folgenden Jahres wieder nach Paris, völlig mein eigener Herr, und meine auf ein befremdliches Gebiet übergegangenen Verhältnisse zu Rodin fielen in ihr früheres Bett zurück, das sie dann, durch die Jahre, in stärkerer oder geringerer Strömung ausfüllen sollten. Hier will ich, nochmals, (aus Ihrem Fragebogen entnehmend, wie sehr Sie sich weiter nach «Einflüssen» umsehen) verweilen und betonen, wie weit dieser unmittelbare und vielfältige Einfluß des großen Bildhauers jeglichen, aus der Litteratur stammenden, überwog und gewissermaßen überflüssig machte. Ich hatte das Glück, Rodin in jenen Jahren zu begegnen, da ich reif war für meine innere Entscheidung und da andererseits, für ihn, der Moment eingetreten war, die Erfahrungen seiner Kunst in eigenthümlicher Freiheit auf alles Erlebbare anzuwenden. Das Gegentheil von dem bei Tolstoi Beobachteten fand hier statt: Einer, der dem inneren Auftrag seiner gestaltenden Genialität, das unendliche göttliche Spiel, völlig und thätig bejaht hatte, nahm, mittels der dort erworbenen Einsich, mehr als nur seine Kunst in Besitz; - es sah eine Weile aus, als schenkte sich ihm Alles, wonach er, die Hände in die Arbeit gebunden, nicht hatte greifen können, aus eigenem Willen nachträglich hinzu ... Und so mag es auch sein, nicht allein für den das höchste meinenden Künstler, sondern für den einfachen Handwerker, wenn er nur einmal den Kern seines Metiers aufgebissen hat: die innerhalb seiner eigenthümlichen Leistung erreichte Intensität eignet ihm (automatisch, möchte man sagen) alles Vorhandene und Gewesene an, das dem gleichen Intensitätsgrade entspricht. Daher stammt die wunderbare Weisheit der Handwerker (die verloren geht), daher die seelische Geräumigkeit im Gemüthe der Hirten...
Und nun (wir sind nicht so weit davon) der schwierige Versuch, Ihren merkwürdigen Erwägungen in bezug auf «reich» und «arm» gerecht zu werden. Die Wendungen ihres Briefes sind mir nicht durchaus verständlich, was wohl daran liegen mag, daß ich Ihren Ausgangspunkt nicht finde und so mich Ihrem Gedanken unterwegs anschließen muß, ohne zu wissen, von wo er aufgebrochen sein möchte. Kommt er aus dem Begriff des «Sozialen» her - wie es den Anschein hat -, so muß da gleich versichert sein, daß man unrecht hätte, irgendeine meiner Bestrebungen in diese Rubrik einzuordnen. Ein menschlich Bleichgesinntes, ein Brüderliches ist mir freilich unwillkürlich und muß in meinem Wesen angelegt gewesen sein, sonst würde mich das Freiwerden dieser Eigenschaft unter dem Einfluß des russischen Beispiels nicht so tief und vertraulich ergriffen haben. Was aber eine solche freudige und natürliche Zuwendung vom Sozialen, wie wir es heute verstehen, durchaus unterscheidet, ist die völlige Unlust, ja Abneigung, irgendjemandes Lage zu verändern oder, wie man sich ausdrückt, zu verbessern. Niemandes Lage in der Welt ist so, daß sie seiner Seele nicht eigenthümlich zustatten kommen könnte ... Und ich muß gestehen, mir ist, wo ich an anderem Schicksal theilzunehmen genöthigt war, immer vor Allem dieses wichtig und angelegentlich gewesen: dem Bedrückten die eigenthümlichen und besonderen Bedingungen seiner Noth erkennen zu helfen, was jedesmal nicht so sehr ein Trost, als eine (zunächst unscheinbare) Bereicherung ist. Es scheint mir nichts als Unordnung zu stiften, wenn die allgemeine Bemühung (übrigens eine Täuschung!) sich anmaßen sollte, die Bedrängnisse schematisch zu erleichtern oder aufzuheben, was die Freiheit des Anderen viel stärker beeinträchtigt, als die Noth selber es tut, die mit unbeschreiblichen Anpassungen und beinahe zärtlich, dem, der sich ihr anvertraut, Anweisungen ertheilt, wie ihr - wenn nicht nach außen, so nach innen - zu entgehen wäre. Die Lage eines Menschen bessern wollen, setzt einen Einblick in seine Umstände voraus, wie nichteinmal der Dichter ihn besitzt, einer Figur gegenüber, die aus der eigenen Erfindung stammt. Wie viel weniger noch, der so unendlich ausgeschlossene Helfende, dessen Zerstreutheit mit seiner Gabe vollkommen wird. Die Lage eines Menschen ändern, bessern wollen, heißt, ihm für Schwierigkeiten, in denen er geübt und erfahren ist, andere Schwierigkeiten anbieten, die ihn vielleicht noch rathloser finden. Wenn ich irgendwann die imaginären Stimmen des Zwerges oder des Bettlers in der Form meines Herzens ausgießen konnte, so war das Metall dieses Gusses nicht aus dem Wunsche geboren, der Zwerg oder der Bettler möchten es weniger schwer haben; im Gegentheil, nur durch eine Rühmung ihres unvergleichlichen Schicksals vermochte der zu ihnen plötzlich entschlossene Dichter wahr und gründlich zu sein, und er müßte nichts mehr fürchten und ablehnen, als eine korrigierte Welt, darin die Zwerge gestreckt sind und die Bettler bereichert. Der Gott der Vollzähligkeit sorgt dafür, daß diese Varietäten nicht aufhören, und es wäre die oberflächlichste Einstellung, wollte man die Freude des Dichters an dieser leidenden Vielfalt für eine ästhetische Ausrede halten. So habe ich auch das Gewissen rein von jedem Vorwurf eine Ausflucht zu begehen, wenn ich für mein Gedicht, den Begriffen «reich» und «arm» gegenübergestellt, die berechtigte Unparteilichkeit des künstlerischen Ausdrucks ganz und gar in Anspruch nehme. Es kann nie meine Absicht gewesen sein, den Armen gegen den Reichen auszuspielen, oder mich zu dem einen überzeugter zu bekennen, als zu dem anderen. Wohl aber mag es mir aufgegeben gewesen sein, Armuth und Reichthum eine Weile mit ihren reinsten Maaßen zu messen, - denn wie sollte es, auch hier wieder, nicht dazu kommen, daß man beide rühmt, wenn man sie recht erkennt.
In einer Welt, die das Göttliche in eine Art Anonymität aufzulösen versucht, mußte jene humanitäre Überschätzung platzgreifen, die von der menschlichen Hülfe erwartet, was sie nicht geben kann. Und göttliche Güte ist so unbeschreiblich an göttliche Härte gebunden, daß eine Zeit, die jene, der Vorsehung vorweg, auszutheilen unternimmt, zugleich auch die ältesten Vorrechte der Grausamkeit unter die Menschen reißt. (Wir habens erlebt.)
[...]
Und nun, zum wirklichen Abschluß, einen Gruß an Ihren kleinen vierjährigen Sohn, der meinem Namen die schönste und unmittelbarste Anerkennung hat zutheil werden lassen. Dieses «Gedicht» hat den Vorzug, kurz zu sein: sollte er es je auswendig lernen wollen, so möchte ich diese Anstrengung lieber mit dem Ausdruck, den man im Französischen für das Ergebnis hat, mir erwünschen: qu'il le saurait «par coeur»!
Sehen Sie zu, ob seine unwillkürliche «Beschwörung» Ihnen diesmal einiges Dienliche und Aufschlüssige eingetragen hat, und halten sie mich weiterhin für

Ihren aufrichtig zugewendeten          R. M. Rilke


Nachschrift, am folgenden Tage:
Ich benutze, lieber Herr Dr. Pongs, diese übrige vierzehnte Seite um noch einen Beitrag über das Thema «Reich und Arm» anzuschließen. Die hier berichtete kleine Handlung (deren Größe man im Übrigen selbst beurtheilen mag) drückt das, was meine persönliche Enstellung wäre, wenn ich mich auf sie besinnen sollte, so vollkommen und so gültig aus, daß ich nichts hinzuzufügen hätte
Ob ihnen der Name «Jammersminde» (Dänisch, übersetzt mit dem Ausdruck «Leidensgedächtnis») etwas erinnert? Es sind das die, in Dänemark, sehr verbreiteten, sogar in den Schulgebrauch aufgenommenen Aufzeichnungen der Gräfin Leonora Christina Ulfeldt, einer Tochter des Königs Christian des IV., verfaßt für ihre Kinder und Enkel während ihrer sechsundzwanzigjährigen Gefangenschaft im blauen Thurm des Schlosses zu Kopenhagen. - Ihr Gemahl, der Reichshofmeister Korfitz Ulfeldt, des Hochverraths beschuldigt, hatte sich durch seine Flucht nach Tirol rechtzeitig zu retten gewußt; die dänische Regierung hielt es für angebracht, sich wenigstens der treu zu Ulfeldt stehenden Gräfin zu versichern. Sie befand sich, für ihren Gemahl Hülfe suchend, am englischen Hofe. Dort wußte man sie zu erreichen und, unter irgend einem Vorwand, auf ein dänisches Schiff zu laden, wo sie sich Gast glaubte, während sie in Wirklichkeit schon die Gefangene ihrer Häscher war. In diesen Moment ist die kleine Szene zu versetzen, die in der Einleitung zu «Jammersminde» (in der dänischen Ausgabe wenigstens) berichtet wird. Einer der jüngeren Offiziere des Schiffs, im Eifer seiner Jugend, meinte sich hervorzuthun, indem er, voreilig, an die noch ahnungslose Gräfin herantrat und, ehrerbietig aber bestimmt, den Schmuck abforderte, den sie an sich trug. Man denke sich das Erstaunen der also Angeredeten. Es mag dem jungen Lieutenant nicht eben leicht gewesen sein, den Blick, den sein Begehren ihm eintrug, mit Anstand auszuhalten. Dann aber trat die schöne und stattliche Frau, die nach der Mode der damaligen Zeit mit Juwelen und Ketten reichlich geschmückt war, an den Spiegel ihrer Kajüte heran und nahm langsam, ohmne Eile, eines nach dem anderen, die Ringe, die Gehänge, die Spangen, die Armbänder und Ohrringe ab, die sich, warm und schwer, in den erschrocken aufgeschlagenen Händen des Offiziers häuften. Als er, schon recht unsicher, mit dieser königlichen Beute vor seinen Kommandanten trat, kannte dessen Befremdung und schließlich sein Zorn keine Grenzen. Er zweifelte nicht, daß nun seine heimlichen Absichten entdeckt und die ganze gewagte Unternehmung mißlungen sei. Seinen Lieutenant in den härtesten Worten anfahrend, lehnte er jede Verantwortung ab und überließ es dem Unglücklichen, seine eigenmächtige und heillose Unbedachtsamkeit gut zu machen -, er möge wissen, wie! Bleich, zitternd, imer noch den unerhörten Überfluß auf den überladenen Händen, erschien der vernichtete Offizier wieder vor der hohen Frau. Stand, stammelnd ... Sie ließ ihn, hoheitsvoll, einen angemessenen Augenblick in dem Zustande seiner Verzweiflung, nur aber um (obwohl sie doch alles begriffen haben mag, was folgen würde) wieder an ihren Spiegel zu treten und, langsam, wie aus den Händen eines Dieners, das vielfältige Geschmeid an sich zu nehmen und anzulegen: mit genau der gleichen Gelassenheit, die sie vorher im Hingeben bewiesen hatte, und schon vertieft in ihr, im Spiegel festlich sich wieder ergänzendes Bild.

P.S.: Meine Blätter wiederlesend, möchte ich, ob es gleich überflüssig ist (: denn Sie verstehen mich, mein ich, recht) doch noch eines angemerkt haben: ich gebe hier nirgends Beurtheilungen, der mir von Ihnen zur Frage gestellten Erscheinungen und Dinge, sondern zeige sie, höchst einseitig, in der Perspektive des Absprungs, den ich von ihnen, seinerzeit, mag genommen haben. Als «Urtheil» wäre das Meiste (siehe den Punkt: Tolstoj) schief und lächerlich. Aber es handelte sich hier um die Erklärung einer bestimmten, Sie im Augenblick interessierenden Situation (die mich übrigens beschämt, indem ich sie so wichtig nehme).

Ich versuchte mein Möglichstes, Ihren Wünschen zu genügen und bin nochmals,
wie schon gestern,
der Ihrige:

RMR.

Rainer Maria Rilke