An Rudolf Emanuel Zimmermann
Schloß Berg am Irchel
am 25. Januar 1921
Lieber und werter Herr Pfarrer,
erst seit Sonntag wieder auf Berg zurück und durch einen bei mir
eingetroffenen Besuch in Anspruch genommen, danke ich Ihnen heute nur
mit dem kürzesten Wort für das Buch, das Sie mir
anvertrauten, und für den Ihre Sendung freundlich begleitenden
Brief.
Ihre Beschäftigung mit den "Geschichten vom lieben Gott" stellt
mich vor eines jener meiner frühen Bücher, die
aufzuklären oder zu kommentieren ich mich selbst am meisten ratlos
und verlegen fühle; denn wie soll man die Erfindungen eines fast
durchaus instinkten Diktats von einem späteren Lebens-Alter her
rechtfertigen? Das Gefühl ist tausendmal verwandelt seither, und
das Bedenken mag sich doch viel mehr mit Neuem und Gegenwärtigem
einlassen, - nichts wäre ihm ermüdender, als die Wendungen
längst entlegener Pfade nachzuziehen.
Wo ich um jener Arbeiten willen zu Rechenschaft gezogen werde, da
verfalle ich jedesmal auf das Wort Instinkt, - denn aus einem Instinkte
heraus sind diese jugendlichen Phantasien improvisiert worden: sollte
ich ihn näher bezeichnen, so möchte ich ihn beschäftigt
erkennen, Gott aus der Gerücht-Sphäre in das Gebiet
unmittelbarer und täglicher Erlebbarkeit zu versetzen; eine naive
und lebhafte In-Gebrauchnahme Gottes, wie sie mir seit meiner Kindheit
aufgegeben schien, mit allen Mittel anzuraten: dies möchte etwa,
soweit sich dergleichen sagen läßt, die unbewußte
Absicht gewesen sein, aus der die Reihe jener Geschichte hervorging.
Die Abgetrenntheit, die endgültig gewordene Jenseitigkeit Gottes
erstaunte und beunruhigte mich, seit ich ein Kind war, in so hohem
Grade, daß mir durch gewisse Jahre hin alle Erfindungen meiner
Produktion recht sein mußten, die die Richtung zu Gott, sei es
von welcher Stelle immer aus, durchschlugen und nichts beabsichtigten
als irgendwie, von jeder Situation her, bei ihm anzukommen: zu so
entschiedenem Zweck mußte mir, da er aus der erlebtesten Not
hervortrieb, am Ende auch jede Übertreibung recht sein. Daß
ich den Kindern die Lust zutraute, mit Gott umzugehen, mag aus den
Gegebenheiten einer einsamen Kindheit zu erklären sein, in der die
Einge von überwiegender Gegenwärtigkeit waren: hinter denen
wurde dann nicht erst der Mensch gesucht, der ihnen irgendwie
widersprach, sondern gleich Gott, als welcher dem Knaben mit der Demut
und Gesetzstille des Gegenständlichen verständigter schien
als mit den Menschen, die so angestrengt waren, Willkür und Zufall
in die Ausgleiche des Weltalls einzuführen.
Ich weiß nicht, lieber Herr Pfarrer, ob ich mit diesen paar
eiligen Zeilen etwas Aufklärendes beitrage, oder ob sie Ihnen
nicht zuletzt die gleiche Beunruhigung bereiten wie die Unklarheiten in
meinen Geschichten: denn sie gehen ja freilich aus der gleichen,
vielleicht überhaupt unübertragbaren Verfassung hervor.
Ein Übriges bleibe bis zum Mündlichen, das uns ab und zu
vergönnt sein wird.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr ergebener
R. M. Rilke
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