Bob2,
hört sich alles gut an. Und hat auch einiges mit dem Leben zutun.
Bob2 hat geschrieben:In dem Gedicht geht es um den Stand der Sonne und des Lichtes und stellt damit eine Verbindung zu dem Gefühlszustand des lyrischen Ich's dar. Das Ich scheint sich nicht sicher zu sein, ob es den 'aktuellen' Schein als Aufgang oder als Untergang betrachten soll. Deshalb wird gleich zu Anfang des Gedichtes genau diese Frage aufgeworfen.
Exakt das ist es, worauf ich hinaus wollte. Und Du hast es eigentlich in Deinen eigenen Worten schon umrissen.
Die erste Zeile führt auch meinem Empfinden nach über das Naturbild direkt in die Grundstimmung des Gedichts:
Zwielicht -
Dämmerung als Seelen-Metapher. Ich habe die Zeile zunächst so gelesen:
Dämmerung - nenn ich dich Sonnenaufgang oder Monduntergang?
Das Ich bezweifelt, daß ihm die Sonne lacht an einem so melancholisch beginnenden Tag: Das Beruhigende der Nacht geht gerade in einem beunruhigenden Tagesanbruch unter.
Das Bild der Anfangszeile (so wie ich es betrachte) vermittelt Zwiespalt: das Ich möchte vom Hellen (Sonnenaufgang) ins Dunkle zurück (Monduntergang), möchte auch möglichst schnell auf diese Seite zu sprechen kommen (die 2. Strophe ist länger). Also wünscht es sich eigentlich, daß der Sonnenuntergang schon geschehen wäre, oder besser gar kein Aufgang stattgefunden hätte.
Und es ist die ganze Zeit Dämmerzustand: Die erste Strophe beschreibt Morgendämmerung, die zweite Abenddämmerung.
Abenddämmerung ist auch in der Malerei ein klassisches Bild zum Ausdruck schwermütiger Stimmung.
Hier noch ein paar biographische Daten. Rilke schrieb dieses Gedicht mit 22 Jahren, am 2. Februar 1898. Und was Rilke im selben Jahr so gedacht hat, äußert er auch in einem Vortrag über
Moderne Lyrik 1898:
"Aber selbst dieser Gefühlsstoff, mag es eine Abendstimmung oder eine Frühlingslandschaft sein, erscheint mir nur der Vorwand für noch feinere, ganz persönliche Geständnisse, die nichts mit dem Abend oder dem Blütentag zu tun haben, aber bei dieser Gelegenheit in der Seele sich lösen und ledig werden."
Und man erkennt, finde ich, sein "Stimmungsdichten" in diesem "Jugendgedicht" hier noch sehr gut. Vergleichst Du es mit dem späten Gedicht
Starker Stern (danke, Renée!), erkennst Du vielleicht, wie sich Rilkes Bildsprache gewandelt hat.
Dabei belasse ich es jetzt erstmal. Und wenn Du noch ein bißchen brütest, wird Dir klar werden, welche Flötisten die "beängstigende" Fähigkeit haben, daß ihnen nie die Lieder ausgehen.
Viel Erfolg
sedna