ich habe mehrere Auszüge aus der neuen Rilke-Projekt 3 CD im Rundfunk gehört (erstmals!). Ich bin meine Vorbehalte nicht losgeworden, sehe es allerdings etwas differenzierter als zuvor:
Ein Vergleich: liest man ein gutes Buch, dass die Imaginationsfähigkeit entfacht, z. B. „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende, dann ist man unter Umständen enttäuscht, wenn man danach den Film sieht, weil er das Niveau der Bildervielfalt im Innern nicht erreicht. Für Menschen, die nicht mit besonders viel Phantasie gesegnet sind, ist eine Buchverfilmung natürlich etwas Großartiges. Die Dominanz der Filmbilder kann aber auch die Phantasie beeinträchtigen oder manipulieren – und das finde ich immer schade.
Auf die Musik übertragen, ergibt sich ein ähnliches Problem: Musik erzeugt m.E. noch leichter Gefühle wie Bilder oder die Sprache. Wenn man sich ein und dasselbe Bild anschaut und mit fünf verschiedenen Musikstücken unterlegt, empfindet man das Bild u. U. jedes Mal anders. Mit Worten/Gedichten geschieht das vielleicht noch extremer, weil Worte einen „längeren Weg“ zum Fühlen haben, da sie oft den Umweg über den Verstand nehmen. D. h., dass die Musik primär wirkt und die Rezeption des Gedichts beeinflusst. Möglicherweise (oder offensichtlich angesichts der Resonanz, die die Rilke-Projekte finden!) gibt es viele Menschen, denen es erst durch die Musik möglich wird, sich auf die Gedichte gefühlsmäßig einzulassen – dann ist es auch in Ordnung so. Wer seine inneren Türen aber unmittelbar für die Dichtung öffnen kann, fühlt sich durch die Musik eher eingeschränkt in seiner Wahrnehmung. Der Zugang, ob mit oder ohne Musik, kann sich auch je nach Stimmung oder Gedicht bei jedem Einzelnen ändern!
Beeindruckt haben mich die Darbietungen von Hannelore Elsner und Peter Ustinov, weil man deren innere Anteilnahme an der Dichtung spüren kann (wenn man die Musik in den Hintergrund der Wahrnehmung rückt) und das ist etwas, was mich selbst dann auch rückkoppelnd berührt. Bei Katja Riemann dagegen hatte ich mehr den Eindruck „Schauspielerin rezitiert (sehr gekonnt!) ein Gedicht“. (Ich habe nur diese drei Stücke gehört)
Den „Klang“ einer Seele zu erspüren, die durch ein Gedicht Rilkes angestoßen wurde, ist für mich weit ergreifender als die schönste Musik. Bei den Stücken, die ich gehört habe, war die Musik einfühlsam und „passend“ zum Gedicht – und gerade deswegen auch einengend bzgl. des eigenen Fühlens.
Ich würde allerdings durchaus gerne J. E. Berendts CD/ Kassette „Seelenlandschaften“ hören (leider vergriffen), weil ich vermute, dass dort auch die Innigkeit der Musiker zu Rilkes Dichtung in der Musik noch mehr Ausdruck findet (nicht nur im Vortrag Berendts!) und das gäbe dem ganzen wieder eine neue Dimension.
Liebe Grüße an alle
