Es war in dem Jahr nach Mamans Tode, daß ich Abelone
zuerst bemerkte. Abelone war immer da. Das tat ihr großen
Eintrag. Und dann war Abelone unsympathisch, das hatte ich ganz
früher einmal bei irgendeinem Anlaß festgestellt, und es
war nie zu einer ernstlichen Durchsicht dieser Meinung gekommen. Zu
fragen, was es mit Abelone für eine Bewandtnis habe, das
wäre mir bis dahin beinah lächerlich erschienen. Abelone war
da, und man nutzte sie ab, wie man eben konnte. Aber auf einmal fragte
ich mich: Warum ist Abelone da? Jeder bei uns hatte einen bestimmten
Sinn da zu sein, wenn er auch keineswegs immer so augenscheinlich war,
wie zum Beispiel die Anwendung des Fräuleins Oxe. Aber weshalb
war Abelone da? Eine Zeitlang war davon die Rede gewesen, daß
sie sich zerstreuen solle. Aber das geriet in Vergessenheit. Niemand
trug etwas zu Abelones Zerstreuung bei. Es machte durchaus nicht den
Eindruck, daß sie sich zerstreue.
Übrigens hatte Abelone ein Gutes: sie sang. Das heißt, es
gab Zeiten, wo sie sang. Es war eine starke, unbeirrbare Musik in
ihr. Wenn es wahr ist, daß die Engel männlich sind, so kann
man wohl sagen, daß etwas Männliches in ihrer Stimme war:
eine strahlende, himmlische Männlichkeit. Ich, der ich schon als
Kind der Musik gegenüber so mißtrauisch war (nicht, weil
sie mich stärker als alles forthob aus mir, sondern, weil ich
gemerkt hatte, daß sie mich nicht wieder dort ablegte, wo sie
mich gefunden hatte, sondern tiefer, irgendwo ganz ins Unfertige
hinein), ich ertrug diese Musik, auf der man aufrecht
aufwärtssteigen konnte, höher und höher, bis man
meinte, dies müßte ungefähr schon der Himmel sein seit
einer Weile. Ich ahnte nicht, daß Abelone mir noch andere Himmel
öffnen sollte.
Zunächst bestand unsere Beziehung darin, daß sie mir von
Mamans Mädchenzeit erzählte. Sie hielt viel darauf, mich zu
überzeugen, wie mutig und jung Maman gewesen wäre. Es gab
damals niemanden nach ihrer Versicherung,
der sich im Tanzen oder im Reiten mir ihr messen konnte. »Sie
war die Kühnste und unermüdlich, und dann heiratete sie auf
einmal«, sagte Abelone, immer noch erstaunt nach so vielen
Jahren. »Es kam so unerwartet, niemand konnte es recht
begreifen.«
Ich interessierte mich dafür, weshalb Abelone nicht geheiratet
hatte. Sie kam mir alt vor verhältnismäßig, und
daß sie es noch könnte, daran dachte ich nicht.
»Es war niemand da«, antwortete sie einfach und wurde
richtig schön dabei. Ist Abelone schön? fragte ich mich
überrascht. Dann kam ich fort von Hause, auf die Adels-Akademie,
und es begann eine widerliche und arge Zeit. Aber wenn ich dort zu
Sorö, abseits von den andern, im Fenster stand, und sie
ließen mich ein wenig in Ruh, so sah ich hinaus in die
Bäume, und in solchen Augenblicken und nachts wuchs in mir die
Sicherheit, daß Abelone schön sei. Und ich fing an, ihr
alle jene Briefe zu schreiben, lange und kurze, viele heimliche
Briefe, darin ich von Ulsgaard zu handeln meinte und davon, daß
ich unglücklich sei. Aber es werden doch wohl, so wie ich es
jetzt sehe, Liebesbriefe gewesen sein. Denn schließlich kamen
die Ferien, die erst gar nicht kommen wollten, und da war es wie auf
Verabredung, daß wir uns nicht vor den anderen wiedersahen.
Es war durchaus nichts vereinbart zwischen uns, aber da der Wagen
einbog in den Park, konnte ich es nicht lassen, auszusteigen,
vielleicht nur, weil ich nicht anfahren wollte, wie irgendein
Fremder. Es war schon voller Sommer. Ich lief in einen der Wege hinein
und auf einen Goldregen zu. Und da war Abelone. Schöne,
schöne Abelone.
Ich wills nie vergessen, wie das war, wenn du mich anschautest. Wie du
dein Schauen trugst, gleichsam wie etwas nicht Befestigtes es
aufhaltend auf zurückgeneigtem Gesicht.
Ach, ob das Klima sich gar nicht verändert hat? Ob es nicht
milder geworden ist um Ulsgaard herum von all
unserer Wärme? Ob einzelne Rosen nicht länger blühen
jetzt im Park, bis in den Dezember hinein?
Ich will nichts erzählen von dir, Abelone. Nicht deshalb, weil
wir einander täuschten: weil du Einen liebtest, auch damals, den
du nie vergessen hast, Liebende, und ich: alle Frauen; sondern weil
mit dem Sagen nur unrecht geschieht.
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