Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen - ja, ich fange an. Es geht
noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen.
Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewußtsein gekommen
ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber
noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die
tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird
schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe,
die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute;
sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut
genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun
fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie
mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber
es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch
nicht? Gesicht ist Gesicht.
Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach
dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie
hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon
das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht
gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch,
hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da
kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und
sie gehen damit herum.
Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefallen,
vornüber in ihre Hände. Es war an der Ecke rue
Notre-Dame-des-Champs. Ich fing an, leise zu gehen, sowie ich sie
gesehen hatte. Wenn arme Leute nachdenken, soll man sie nicht
stören. Vielleicht fällt es ihnen doch ein.
Die Straße war zu leer, ihre Leere langweilte sich und zog mir
den Schritt unter den Füßen weg und klappte mit ihm herum,
drüben und da, wie mit einem Holzschuh. Die Frau erschrak und hob
sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so daß das Gesicht in
den zwei Händen blieb. Ich konnte es darin liegen sehen, seine
hohle Form. Es kostete mich unbeschreibliche Anstrengung, bei diesen
Händen zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen
abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich
fürchtete mich doch noch viel mehr vor dem bloßen wunden
Kopf ohne Gesicht.
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