Biografie Seite 3


Krieg und Revolution (1914-1919)
Als der erste Weltkrieg ausbricht, weilt Rilke gerade in München. Die Katastrophe trifft ihn völlig unerwartet: In Paris hat er eine vollständig eingerichtete Wohnung zurückgelassen. In einer ersten Euphorie spricht er dem Krieg eine mythische Größe zu. Angesichts der Brutalität der Geschehnisse ändert er schnell seine Meinung. Im ersten Kriegsjahr beschäftigt ihn allerdings vor allem eine Kurbekanntschaft, mit der er sogar kurzfristig zusammenzieht: Es ist die 23-jährige, verheiratete Malerin Lulu Albert-Lasard, die ihn auch zu einigen Gedichten inspiriert, wie "Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens". Rilkes Produktivität wächst zum Herbst 1915, als er die Vierte Duineser Elegie verfaßt. Es folgt eine Krise, die ein mehrjähriges künstlerisches Verstummen Rilkes hervorruft: Die Verpflichtung in den Dienst der österreichischen Armee. Nach einer dreiwöchigen für ihn verheerenden Drillzeit im Januar 1916 kommt er in das österreichische Kriegsarchiv. Dank seiner einflußreichen Freundinnen und Freunde wird er schon im Juli 1916 aus dem Militärdienst entlassen. Das Ende des Krieges und die revolutionäre Zeit danach lassem ihm jedoch auch als Zivilisten keine Ruhe für weitere literarische Arbeiten. Statt dessen bemüht er sich, das Zeitgeschehen nachzuvollziehen, liest viele Zeitungen und diskutiert die Wandlungen in Briefen. Er unterhält Beziehungen zu allen politischen Lagern, vom Hochadel bis zu sozialistischen Revolutionären. So kommt es u.a. zu mehreren Durchsuchungen seiner Wohnung.

Die letzten Jahre in der Schweiz (1919-1926)
Äußerer Anlaß für Rilkes Umzug in die Schweiz ist die Einladung eines Lesezirkels zu einer Vortragsreise. Im August 1919 schreibt er  in Soglio das "Ur-Geräusch". Rilke nutzt die Reise in die Schweiz als Gelegenheit, eine Zäsur zu machen. Nach dem Zerfall des Habsburger Vielvölkerstaates ist sein Paß ungültig. So beantragt der gebürtige Prager die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, die er 1920 erhält. Er reist viel herum, fährt nach Venedig und Paris. Nach Deutschland kehrt er nicht zurück. Den Winter 1920/21 verbringt Rilke unproduktiv in einem Schloß im zürcher Weinland. Im folgenden Frühling findet er ein Heim, das ganz seinen Bedürfnissen entspricht: Einen heruntergekommenen Turm aus dem 13. Jahrhundert, einsam gelegen im Rhône-Tal. Bevor der Dichter einzieht in den "Turm von Muzot" (sprich: "Müsott"), wird dieser noch schnell renoviert und mit einer Haushälterin besetzt. Jetzt gilt es, die Arbeit zu vollenden, von der ihn die Einberufung zum ersten Weltkrieg weggerissen hatte und für die er danach nie wieder die Konzentration fand: Die Duineser Elegien. Der Bann hält bis zum Februar 1922. In diesem Monat verfaßt Rilke von 2. bis zum 5. zunächst 26 " Sonette an Orpheus", vom 7. bis 14. die sechs fehlenden Duineser Elegien und vom 15. bis zum 23. weitere 29 Sonette an Orpheus. In den folgenden Jahren bleibt Muzot Rilkes Rückhalt. Von dort reist er viel umher, um Freunde zu besuchen, und verbringt eine glückliche Zeit. Er verfaßt weitere Gedichte, teilweise in Französisch. 1925 verbringt er noch einmal einen Frühling in Paris. Dort wird er wo der Dichter von Literaten wie André Gide und Paul Valéry gefeiert. Eine Krankheit, wegen der Rilke schon seit 1923 immer wieder zu Aufenthalten im Sanatorium gezwungen war, erfordert jedoch seine plötzliche Abfahrt. Sein Zustand verschlimmert sich 1926 weiter. Er bleibt in der Schweiz und kommt im Dezember in das Sanatorium von Val-Mont. Am 29. Dezember 1926 stirbt Rilke an Leukämie. Am zweiten Januar 1927 wird er in Raron im Kanton Wallis beigesetzt. Sein Grabspruch lauet auf eigenen Wunsch:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

© 1998 Thilo v. Pape