An Lou Andreas-Salomè
Worpswede bei Bremen,
am 18. July 1903
Ich
möchte Dir sagen, liebe Lou, daß Paris eine ähnliche
Erfahrung für mich war, wie die Militärschule; wie damals ein
großes banges Erstaunen mich ergriff, so griff mich jetzt wieder
das Entsetzen an vor alledem was, wie in einer unsäglichen
Verwirrung, Leben heißt. Damals als ich ein Knabe unter Knaben
war, war ich allein unter ihnen; und wie allein war ich jetzt unter
diesen Menschen, wie fortwährend verleugnet von allem was mir
begegnete; die Wagen fuhren durch mich durch, und die welche eilten,
machten keinen Umweg um mich und rannten voll Verachtung über mich
hin wie über eine schlechte Stelle in der altes Wasser sich
gesammelt hat. Und oft vor dem Einschlafen las ich das 30. Capitel im Buche Hiob und es
war alles wahr an mir, Wort für Wort. Und in der Nacht stand ich
auf und suchte meinen Lieblingsband Baudelaire, die petits poèmes en prose,
und las laut das schönste Gedicht, das überschrieben ist A une heure du matin . Kennst Du
es ? Es beginnt: Enfin! seul! On
n`entend plus que le roulement de quelques fiacres attardès et
èreintès. Pendant quelques heures nous possèderons
le silence, sinon le repos. Enfin! La tyrannie de la face humain a
disparu, et je ne souffrirai plus que par moi-mème....
und es endet groß; steht auf, steht und geht aus wie ein Gebet.
Ein Gebet Baudelaires; ein wirkliches, schlichtes Gebet, mit den
Händen gemacht, ungeschickt und schön wie das Gebet eines
russischen Menschen. - Er hatte einen weiten Weg dazu hin, Baudelaire,
und er ist ihn kniend und kriechend gegangen. Wie war er mir
fern in allem, meiner Fremdesten einer; oft kann ich ihn kaum
verstehen und doch manchmal tief in der Nacht, wenn ich seine Worte
nachsprach wie ein Kind, da war er mein Nächster und wohnte neben
mir und stand bleich hinter der dünnen Wand und hörte meiner
Stimme zu, die fiel. Was für eine seltsame Gemeinsamkeit war da
zwischen uns, ein Theilen von allem, dieselbe Armuth und vielleicht
dieselbe Angst.
O es haben
tausend Hände gebaut an meiner Angst und sie ist aus einem
entlegenen Dorf eine Stadt geworden eine große Stadt, in der
Unsägliches geschieht. Sie wuchs die ganze Zeit und nahm mir das
stille Grün aus meinem Gefühl, das nichts mehr trägt.
Schon in Westerwede wuchs sie und es entstanden Häuser und
Gassen aus den bangen Umständen und Stunden, die dort vergingen.
Und als Paris kam, da wurde sie rasch ganz groß. Im August
vorigen Jahres traf ich dort ein. Es war die Zeit, da die Bäume in
der Stadt welk sind ohne Herbst, da die glühenden Gassen,
ausgedehnt von der Wärme nicht enden wollen und man durch
Gerüche geht wie durch viele traurige Zimmer. Da ging ich an den
langen Hospitälern hin, deren Thore weit offen standen mit einer
Gebärde ungeduldiger und gieriger Barmherzigkeit. Als ich zum
ersten Mal am Hotel Dieu
vorüberkam fuhr gerade eine offene Droschke ein, in der ein Mensch
hing, schwankend bei jeder Bewegung, wie eine zerbrochene Marionette
schief, und mit einem schweren Geschwür auf dem langen, grauen,
hängenden Halse. Und wasfür Menschen bin ich seither
begegnet, fast an jedem Tage; Trümmern von Karyatiden, auf denen
noch das ganze Leid, das ganze Gebäude eines Leides lag, unter dem
sie langsam wie Schildkröten lebten. Und sie waren
Vorübergehende unter Vorübergehenden, alleingelassen und
ungestört in ihrem Schicksal. Man fing sie höchstens als
Eindruck auf und betrachtete sie mit ruhiger, sachlicher Neugier wie
eine neue Art Thier, dem die Noth besondere Organe ausgebildet hat,
Hunger- und Sterbeorgane. Und sie trugen das trostlose,
mißfarbene Mimicry der übergroßen Städte und
hielten aus unter dem Fuß jedes Tages der sie trat wie zähe
Käfer, dauerten, als ob sie noch auf etwas warten
müßten, zuckten wie Stücke eines zerhauenen
großen Fisches, der schon fault aber immer noch lebt. Sie lebten,
lebten von nichts, vom Staub, vom Ruß und vom Schmutz auf ihrer
Oberfläche, von dem was den Hunden aus den Zähnen fällt,
von irgend einem sinnlos zerbrochenen Dinge, das immer noch jemand
kaufen mag zu unerklärlichem Gebrauch. O was ist das für eine
Welt. Stücke, Stücke von Menschen, Theile von Thieren,
Überreste von gewesenen Dingen und alles noch bewegt, wie in einem
unheimlichen Winde durcheinandertreibend, getragen und tragend, fallend
und sich überholend im Fall.
Da gab es Frauen, die einen schweren Korb absetzten an irgend einem
Mauervorsprung, (ganz kleine Frauen, deren Augen wie Pfützen
austrockneten) und als sie ihn wieder greifen wollten, da schob sich
langsam und umständlich ein langer rostiger Haken aus ihrem
Ärmel hervor, statt einer Hand, und ging gerade und sicher auf den
Henkel des Korbes los. Und waren andere alte Frauen, die mit den
Schubladen eines alten Nachttisches in der Hand umhergingen und jedem
zeigten, daß drinnen zwanzig verrostete Stecknadeln
herumrollten, die sie verkaufen mußten.
Und einmal
spät im Herbst stand Abends eine kleine Alte neben mir im Scheine
eines Schaufensters. Sie stand ganz still und ich glaubte sie gleich
mir mit der Betrachtung der ausgelegten Sachen beschäftigt, und
achtete ihrer kaum. Schließlich aber fühlte ich mich von
ihrer Nähe beunruhigt, und ich weiß nicht weshalb ich
plötzlich auf ihre eigenthümlich zusammgengelegten
abgetragenen Hände sah. Ganz ganz langsam stieg aus diesen
Händen ein alter, langer, dünner Bleistift hervor, er wuchs
und wuchs und es dauerte sehr lange bis er ganz sichtbar war, sichtbar
in seinem ganzen Elend. Ich kann nicht sagen, was so entsetzlich wirkte
an dieser Szene, aber es war mir als spielte sich vor mir ein ganzes
Schicksal ab, ein langes Schicksal, eine Katastrofe, die sich furchtbar
steigerte bis zum Augenblick da der Bleistift nichtmehr wuchs und ganz
leise zitternd herausragte aus der Einsamkeit dieser leeren Hände.
Ich begriff schließlich, daß ich ihn kaufen sollte...
Und dann diese
Frauen, die rasch an einem vorübergehen, in langen
Sammetmänteln aus den Achzigerjahren, mit Papierrosen auf
veralteten Hüten, unter denen das Haar wie zusammengeschmolzen
herunterhängt. Und alle diese Menschen, Männer und Frauen,
die in irgend einem Übergang sind, vielleicht vom Wahnsinn zur
Heilung, vielleicht auch auf den Irrsinn zu; alle mit etwas unendlich
Feinem im Gesicht, mit einer Liebe , einem Wissen, einer Freude, wie
mit einem Licht, das nur ein ganz klein wenig trübe und unruhig
brennt und gewiß wieder klar werden könnte, wenn einer
zusähe und hülfe.... Aber da ist keiner , der hilft. Keiner,
der denen hilft, die erst nur ein ganz klein wenig bestürzt sind,
erschreckt und eingeschüchtert; denen, die erst anfangen, die
Dinge anders zu lesen als sie gemeint sind; denen, die noch ganz auf
derselben Welt wohnen, nur daß sie ein bischen schräg gehn
und deshalb manchmal meinen, die Dinge hingen über sie; denen, die
nicht in den Städten zuhause sind und sich in ihnen verlieren wie
in einem bösen Wald ohne Ende -; allen denen, welche Leid
geschieht an jedem Tage, allen denen die ihren Willen nicht gehen
hören im Lärm, allen denen, über die die Angst gewachsen
ist, - warum hilft ihnen niemand in den großen Städten?
Wo gehen sie
hin, wenn sie so rasche durch die Straßen kommen? Wo schlafen
sie, und wenn sie nicht schlafen können, was geht dann vor ihren
traurigen Augen vor? An was denken sie, wenn sie tagelang in den
offenen Gärten sitzen den Kopf gesenkt über die Hände,
die wie von weit zusammengekommen sind, um sich, eine in der anderen zu
verbergen? Und was für Worte sagen sie zu sich selbst, wenn ihre
Lippen sich zusammennehmen und arbeiten. Weben sie noch wirkliche
Worte?.. Sind es noch Sätze, die sie sagen: oder drängt sich
schon wirr, wie aus einem brennenden Theater, alles aus ihnen heraus,
was in ihnen Zuschauer war und Spieler, Hörer und Held? Denkt
niemand daran, daß in ihnen eine Kindheit ist, die verloren geht,
eine Kraft, die krank wird, und eine Liebe, die fällt?
O, Lou, ich
habe mich so gequält, Tag für Tag. Denn ich
verstand alle diese Menschen und obwohl ich in einem großen Bogen
um sie herumging, hatten sie kein Geheimnis vor mir. Es riß mich
aus mir heraus in ihr Leben hinein, durch alle ihre Leben durch, durch
alle ihre beladenen Leben. Ich mußte mir oft laut sagen,
daß ich nicht einer von ihnen bin, daß ich wieder fortgehen
würde aus dieser schrecklichen Stadt, in der sie sterben werden;
ich sagte es mir und fühlte, daß es kein Betrug war. Und
doch wenn ich merkte, wie meine Kleider von Woche zu Woche schlechter
und schwerer wurden und sah, wie sie zerschlissen waren an vielen
Stellen, erschrak ich und fühlte, daß ich rettungslos zu den
Verlorenen gehören würde, wenn nur irgend ein
Vorübergehender mich sah und mich, halb unbewußt zu ihnen
zählte. Jeder konnte mich zu ihnen hinunterstoßen mit dem
flüchtigen Aburtheil eines geringschätzigen Blickes. Und war
ich nicht doch einer von ihnen, da ich arm war wie sie und voll
Widerspruch gegen alles was die anderen Leute beschäftigte und
freute und täuschte und trug ? Leugnete ich nicht alles was um
mich herum galt, - und war ich nicht eingentlich obdachlos, trotz des
Scheines einer Stube, in der ich so fremd war, als theilte ich sie mit
einem Unbekannten ? Hungerte ich nicht, gleich ihnen, an den Tischen
auf denen Speisen standen, die ich nicht berührte, weil sie nicht
rein und nicht einfach waren , wie die, die ich liebte? Und unterschied
ich mich nicht, wie sie, von den Meisten um mich schon dadurch,
daß kein Wein in mir war, noch irgend sonst ein täuschendes
Getränk? War ich nicht klar, wie jene Einsamen, die nur von
außen der Dunst beschlug und die Schwere der Stadt und das
Gelächter, das wie ein Qualm aus den schlechten Feuern kommt, die
sie unterhält? Nichts war so wenig Lachen wie das Lachen jener
Entfremdetetn: wenn sie lachten, klang es, als fiele etwas in ihnen,
fiele und zerschlüge und füllte sie an mit Zerbrochnem. Sie
waren ernst; und ihr Ernst griff wie Schwerkraft nach mir und zog mich
hinab tief in den Mittelpunkt ihres Elends.
Was half es
da, daß ich manchen Morgen froher aufstand und hinausging mit
mehr Muth und eines ruhigen tüchtigen Tages fähig.... Einmal,
(es war ziemlich früh am Tage) kam ich so den Boulevard St. Michel
herunter, in der Absicht nach der National-Bibliothek zu gehen, wo ich
viel Zeit zu verbringen gewohnt war. Ich ging und freute mich an allem
was der Morgen und der Anfang eines neuen Tages sogar in der Stadt
verbreitet an Frische, Helligkeit und Muth. Das Roth an den
Wagenrädern freute mich, das feucht und kühl war wie auf
Blumenblättern, und es freute mich, daß irgendwo am Ende der
Straße jemand etwas Lichtgrünes trug, ohne daß ich
daran dachte was es wohl wäre. Langsam fuhren die Wasserwagen
bergan und das Wasser sprang jung und licht aus ihren Röhren und
machten den Weg dunkel, so daß er nichtmehr blendete. Pferde
kamen vorbei in schimmernden Geschirren und ihre Hufe schlugen auf wie
hundert Hämmer. Anders klangen die Rufe der Händler: stiegen
leichter auf und hallten hoch nach. Und das Gemüse auf ihren
Handwagen bewegte sich wie ein kleines Feld und hatte einen eigenen
freien Morgen über sich und in sich Dunkelheit, Grüne und
Thau. Und wenn es still war einen Augenblick, so hörte man
über sich das Geräusch von Fenstern, die aufgestoßen
wurden...
Da fiel mir
plötzlich das eigenthümliche Betragen der Leute auf, die mir
entgegenkamen; die meisten gingen eine Weile zurückgewendet, so
daß ich darauf achten mußte, nicht mit ihnen
zusammenzustoßen: es gab auch solche die stehen geblieben waren
und, indem ich ihrem Blicke folgte, erreichte ich unter den Leuten, die
vor mir gingen <,> einen schlanken, schwarzgekleideten Mann, der
im Weitergehen beide Hände benützte, seinen
Überzieherkragen, der sich offenbar ärgerlicherweise immer
wieder aufstellte, umzuklappen. Bei dieser Bemühung, die ihn
sichtlich anstrengte, vergaß er wiederholt des Weges zu achten,
stolperte oder sprang hastig über irgend ein kleines Hindernis.
Als
das einige Mal, kurz hintereinander, geschehen war, wandte er die
Aufmerksamkeit dem Wege zu, aber es war merkwürdig, daß er
trotzdem nach zwei oder drei Schritten wieder stockte und über
irgendetwas weghüpfte. Ich war unwillkürlich rascher gegangen
und befand mich nun nahe genug hinter dem Manne um zu sehen, daß
die Bewegungen seiner Füße gar nichts mit dem
Bürgersteig zu thun hatten, der glatt und eben war, und daß
er nur die ihm Begegnenden täuschen wollte, wenn er sich nach
jedem Stolpern umwandte als sollte er irgend einen schuldigen
Gegenstand zu Rechenschaft ziehen. Es war in Wirklichkeit nichts zu
sehen. Indessen langsam milderte sich die Ungeschicklichkeit seines
Ganges und er eilte jetzt ganz schnell dahin und blieb eine Weile lang
unbeobachtet. Auf einmal aber fing die Unruhe wieder in seinen
Schultern an, zog sie zweimal hoch und ließ sie fallen, so
daß sie ganz schräge von ihm weghingen, während er
weiterging. Wie staunte ich aber, als ich aufeinmal zugeben
mußte, gesehn zu haben, wie seine linke Hand unbeschreiblich
rasch nach dem Mantelkragen fuhr, ihn fast unbemerkbar ergriff und
aufstellte, worauf er sehr umständlich mit beiden Händen die
Niederlegung des Kragens versuchte, die, ganz wie das erste Mal, nur
sehr schwer zu gelingen schien. Dabei nickte er nach vorn und nach
links, streckte den Hals und nickte, nickte, nickte hinter den
hochgehobenen beschäftigten Händen, als begänne nun auch
der Hemdkragen ihn zu belästigen und als wäre da oben noch
für lange hinaus Arbeit. Schließlich schien wieder alles in
Ordnung zu sein. Er ging etwa zehn Schritte völlig unbeobachtet,
als ganz plötzlich das Auf und Ab der Schultern wieder anfing;
gleichzeitig blieb ein Kellner, der vor einem Kaffehause
aufräumte, stehen und betrachtete neugierig den
Vorübergehenden, der sich unversehens schüttelte, stand und
in kleinen Sprüngen seinen Gang wieder aufnahm. Der Kellner lachte
und rief etwas in das Geschäft hinein, worauf noch ein paar
Gesichter hinter den Spiegelscheiben sichtbar wurden. Der fremde Mann
aber hatte indessen seinen Stock mit dem rund gebogenen Griff hinten an
seinem Kragen angehängt, und nun, während des Weitergehens,
hielt er ihn so, senkrecht, gerade über der Wirbelsäule; das
hatte nichts Auffälliges und es stützte ihn. Die neue Haltung
beruhigte ihn sehr und er ging einen Augenblick ganz erleichtert
weiter. Niemand achtete seiner; ich aber, der ich den Blick nicht eine
Sekunde lang von ihm abwenden konnte, wußte, wie nach und nach
die Unruhe wiederkehrte, wie sie stärker und stärker wurde,
wie sie versuchte bald da, bald dort zu Worte zu kommen, wie sie an den
Schultern rüttelte, wie sie sich an den Kopf hängte um ihn
herabzureißen aus dem Gleichgewicht und wie sie plötzlich
ganz unerwartet den Schritt überfiel und zerrieß. Noch sah
man alles das kaum; es spielte sich in kleinen Pausen leise und fast
heimlich ab, aber es war doch schon da und es wuchs. Ich fühlte
wie dieser ganze Mann sich anfüllte mit Unruhe, wie sie, die sich
nicht ausgeben konnte, sich vermehrte und wie sie stieg, und ich sah
seinen Willen, seine Angst und den verzweifelten Ausdruck seiner
krampfhaften Hände, die den Stock an das Rückgrat
preßten als wollten sie ihn zu einem Theil diese hülflosen
Leibes machen, in dem der Reiz zu tausen Tänzen lag. Und ich
erlebte es wie dieser Stock etwas wurde, etwas Bedeutsames, von dem
viel abhing: alle Kraft des Mannes und sein ganzer Wille ging in ihn
ein und machte ihn zu einer Macht, zu einem Wesen, das vielleicht
helfen konnte und an dem der kranke Mann mit wildem Glauben hing. Hier
entstand ein Gott und seine Welt erhob sich wider ihn. Aber
während dieser Kampf sich vollzog, versuchte der Mann, der ihn
trug, weiterzugehen und es gelang ihm für Augenblicke arglos und
gewöhnlich auszusehen. Jetzt überschritt er den
Michaelsplatz, und obwohl das Ausweichen vor den Wagen und
Fußgängern, die sehr zahlreich waren, ihm Vorwand geboten
hätte zu ungewöhnlichen Bewegungen, blieb er ganz stille und
es war sogar eine seltsam starre Ruhe in seinem ganzen Körper, als
er drüben den Gangsteig der Brücke betrat. Ich war jetzt
dicht hinter ihm, willenlos, mitgezogen von seiner Angst, die von
meiner nicht mehr zu unterscheiden war. Plötzlich gab der Stock
nach, mitten auf der Brücke. Der Mann stand; ungewöhnlich
still und steil stand er da und rührte sich nicht. Nun wartete er;
aber es war, als traute der Feind in ihm dieser Unterwerfung noch
nicht; er zögerte, - nur einen Augenblick freilich. Dann brach er
los wie ein Brand, aus allen Fenstern zugleich. Und es begann ein
Tanz.... Ein dichter Kreis von Menscher, der sich rasch geschlossen
hatte, schob mich allmählich zurück und ich konnte nichts
mehr
sehen. Meine Kniee zitterten, und es war alles aus mir herausgenommen.
Ich stand eine Weile an das Brückengeländer gelehnt und
schließlich ging ich zurück in mein Zimmer; es hätte
keinen Sinn mehr gehabt, nach der Bibliothek zu gehen. Wo giebt es ein
Buch, das stark genug gewesen wäre, mir über das fortzuhelfen
was in mir war. Ich war wie verbraucht; als hätte die Angst eines
anderen sich aus mir genährt und mich erschöpft, so war ich.
Und so wie
dieser Morgen waren viele, - und Abende waren so. Hätte ich die
Ängste, die ich so erlebte, m a c h e n können,
hätte ich Dinge bilden können aus ihnen, wirkliche stille
Dinge, die zu schaffen Heiterkeit und Freiheit ist und von denen, wenn
sie sind Beruhigung ausgeht, so wäre mir nichts geschehen. Aber
diese Ängste, die mir aus jedem Tage zufielen, rührten
hundert andere Ängste an und sie standen in mir auf wider mich und
vertrugen sich, und ich kam nicht über sie hinaus. Im Bestreben,
sie zu formen, wurde ich schöpferisch an ihnen selbst; statt sie
zu Dingen meines Willens zu machen, gab ich ihnen nur ein eigenes
Leben, das sie wider mich kehrten und mit dem sie mich verfolgten weit
in die Nacht hinein. Hätte ich es besser gehabt, stiller und
freundlicher, hätte meine Stube zu mir gehalten und wäre ich
gesund gebliebem, vielleicht hätte ich es doch gekonnt: Dinge
machen aus Angst.
Einmal gelang
es , wenn auch nur für kurze Zeit. Als ich in Viareggio war; zwar
brachen die Ängste dort los, mehr als vorher und
überwältigten mich. Und das Meer, das nie schwieg, war zu
viel für mich und verschüttete mich mit dem Lärm seiner
Frühlingswellen. Aber es kam doch. Gebete sind dort entstanden,
Lou, ein Buch Gebete. Dir muß ich es sagen, weil in Deinen
Händen meine ersten Gebete ruhen, an die ich sooft gedacht, und an
denen ich mich sooft aus der Ferne gehalten habe. Weil sie so
großen Klanges sind und weil sie so ruhig sind bei Dir (und weil
niemand außer Dir und mir von ihnen weiß..), darum konnte
ich mich halten an ihnen. Und einmal möchte ich kommen dürfen
und die Gebete, [die anderen,] die seither enstanden sind, zu den
anderen legen, zu Dir, in Deine Hände, in Dein stilles Haus.
Denn sieh ich
bin ein Fremder und ein Armer. Und ich werde vorübergehen; aber in
Deinen Händen soll alles sein was einmal hätte meine Heimat
werden können, wenn ich stärker gewesen wäre.
Rainer.
Lou, hast Du meine Bücher einmal gesehen, das
über Worpswede und das von dem Werke Rodin`s? Willst Du sie einmal
durchblättern? Und giebt es ein neues Buch von Dir? Darf ich es
lesen? -
|