Der
blinde
Knabe
An
allen Türen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter bleiche Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
"Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe."
Und alle weinten über ihn.
An allen Türen blieb der blinde Knabe.
Die Mutter aber zog ihn leise mit;
weil sie die andern alle weinen schaute.
Er aber, der nicht wußte, wie sie litt,
und nur noch tiefer seinem Dunkel traute,
sang: "Alles Leben ist in meiner Laute."
Die Mutter aber zog ihn leise mit.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und als ein Greis ihn fragte, was sie deuten,
da schwieg er, und auf seiner Stirne stand:
Es sind die Funken, die die Stürme streuten,
doch einmal werd ich breit sein wie ein Brand.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Sie mußten immer an den Blinden denken
und wollten etwas seiner Armut weihn;
er nahm sie lächelnd an den Handgelenken
und sang: "Ich selbst bin kommen euch beschenken."
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Und alle Mädchen wurden blaß und bang.
Und waren wie die Mutter dieses Knaben,
der immer noch in ihren Nächten sang.
Und fürchteten: wir werden Kinder haben, -
und alle Mütter waren krank..
Da wurden ihre Wünsche wie ein Wort
und flatterten wie Schwalben um die Eine,
die mit dem Blinden zog von Ort zu Ort:
"Maria, du Reine,
sieh, wie ich weine.
Und es ist seine
Schuld. In die Haine
führ ihn fort!"
Bei allen Bäumen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter müde Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
"Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe -"
Und alle blühten über ihm.
Aus: Christus Elf Visionen (Zoppot, Juli 1898)