Elfte Antwort

An Erika

I

Oh Herz, oh Stern: vor oder quer geschoben
im Schach der Nacht, bald kühn, bald zögernd nur,-
in kleinen Siegen manchmal hingehoben
über des Turms verlorene Figur:

oh daß Du noch in diesen Spielen weilst,
auf Feldern von Unsäglichkeit und Sagnis
und, das wir spielen, der Gestalten Wagnis,
Du, immer Mitgewagte, mit mir teilst:

Auf meiner Sternenkarte such ich wieder
Dich und den graden weltischen Bezug,
der aus der starken Stellung Deiner Lieder
selbst in mein Schweigen Räume niederschlug.

Selig das Herz, das einen Stern bedeutet,
wenn es sich aus sich selber rein erregt:
oh heile Jagd: der Tierkreis wird erbeutet
von einem Stern, der Jagd im Namen trägt.

(...ja, ich bin krank, Du fragst genau zur Stunde,
da ich unendlich wußte, daß ichs bin;
allmählich sank ich ein in eine Wunde,
die offen bleibt, weil  ich nicht weiß wohin
und in ihr steh. Ich steh im eignen Blut,
im Folterbad des eignen Blutes, drin,
auf einmal wach und feindlich ausgeruht,
so vieles wirrt und wühlt was ich nicht bin...
Nicht bin: doch mit-bin, mit-war -, oft vielleicht
bereichert durch den Kampf der Gegensätze,
nun aber drängt das Fremde an die Plätze.,
die ich mit seinem Beistand blind erreicht;
und will belohnt sein. Aus der Ferne des
Geschlechtes kommen alte Forderungen:
wie  vieles hab ich wider  sie errungen,
mit ihrer Kraft... Das ich versagt am Es.

Noch sind die Ärzte (die ich nie befragte
durch Jahre hin, der eigenen Natur
so rein vertrauend, daß sie sich behagte
in meinem Plan und ich, auf ihrer Spur...)
noch sind die Ärzte, fragend hin und her,
unsicher, ob ich ein Erkanntes leide,
von dem sie wissen..... Und ich selber meide
den Übergang in ihre Hand aus der
des Lebens.........)

II

Dies nur als Antwort. Übertöns
mit Deiner Jugend. (Daß kein Sturz sie täusche!)
Wo ist die Würde unseres Gestöhns?
: Vollzähligkeit der irdischen Geräusche.

Wir sind ja auch in das, was schreckt und stört,
von Anfang an so grenzenlos verpflichtet.
Das Tötliche hat immer mitgedichtet:
nur darum war der Sang so unerhört.

(27. Oktober)

III

Wie aber mutet jetzt Dich Zeit an, Du
mir frei Vertraute, durch der Fernen Gnade?
(Wo etwas bricht, mit einem leisen "Schade",
kehrst Du Dich, hoff ich, einem Heilen zu.)

Wer ist um Dich? Wer hilft Dir dieses sein,
wofür man einen hält? Wer scheinst Du Dir,
nachts, wenn Du aufwachst, mit der Welt allein?
...Dann schlägt es Eins......, dann schlägt es Vier...
und ist noch dunkel wie in uns, wo nie
die Uhren schlagen. Welches Buch liegt dann
auf Deinem Tisch im Dunkel? Fingst Du`s an,
weil etwas nicht kam...., oder trieben die,
die wirklich kamen, Dich in seinen Schutz?
........................................................
Ich frage nichts. Fragen ist Eigennutz.
Was ich vermute, steht Dir alles frei:
es sei Dein Vorrat. Leise an Dir weht
der Flügel meiner Zärtlichkeit vorbei
und dieser Einfluß: mildester Magnet.

(28. Oktober)

IV

Wenn draußen jetzt der größre Sturm sich stellt,
als ob er, stark, das Jahr zu Ende drehe,
wir legens aus und hören: Wehe, Wehe!
Und ist doch namenlose Wucht der Welt.

Steh auf und wachse wider dieses Wehn
und reiße Dir die Namen aus den Sinnen.
Was draußen heißt, ist lauter Heilung innen,
und was geschieht, ist innen schon geschehn.

Komm an den Brunnen, der ich bin; ich gebe
die Wasser weiter, selber nicht gespeist....,
und während ich von Spiegelungen lebe,-
was weiß ich denn wie dieses Wasser heißt!

Du selber, sieh: die Schale fehlt Dir, nur
zwei Hände schließen sich erschreckt zum Becher.
Ach, die Erfüllung stürzt aus dem Versprecher
und ist schon fort: vergossene Natur.

(30. Oktober)

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer, elfte Antwort, Oktober 1925)