Fünfter Brief
von Erika Mitterer
Wenn ich ermüde, bin ich ganz
verloren,
wenn ich versage, bin ich mir
entbrannt,
dann wär es besser, ich wär
nie geboren,
und besser wärs, ich hätt
Dich nie gekannt.
Ach, ist es herrlich, alles Maß
in sich,
für Glück und Leid allein
in sich zu spüren?
Ists fürchterlich? O, angstvoll
frage ich
mich stets aufs neue: Wohin soll es
führen?
Du siehst, mir sind die Laute neu,
ich brauch sie wie ein Kind.
Manchesmal lassen sie mich frei
im Fühlen wie im Wind.
Sie ragen über mich hinaus,
schließen mich doch nicht ein.
Und sind doch ein umblühtes Haus,
und dieses Haus ist mein.
Aus: Die Gedichte
1922 bis 1926 (Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer,
fünfter Brief, 9.
Juli 1924,
früh)