Die Liebenden
(Erika und Melitta)

I.

Bist du`s? Oh sei`s!
Wandle dich, wenn du`s nicht bist,
werde, was keiner vergißt,
bieg mir den Kreis.

Lauter Beweis
geht von dir aus. Meine Arme sind
aufgeschlagen von deinem Wind.
Bist du`s?  Oh sei`s!

Zeig dich mir leis,
so wie Musik, die man wiedererkennt,
durch die Luft, die sie bringt, von ihr getrennt.....
Bist du`s? Oh sei`s!

Flamme und Eis
schießen dich ein wie ein einziger Brand.
Siehe, ich warte abgewandt:
Bist du`s? Oh sei`s!

II.

Spielt mit Spiegeln der Gott?
Blenden uns jagende Scheine?
Ist dies Glänzen das Deine,
oder sein spielender Spott?

Aufgeglänzt dein klares Gefühl,
stürm ich wie Wind deine Türe-,
doch wenn ichs glühend berühre,
scheint es mir kühl.

III.

Ach, wie bist du dennoch, Wunderbare,
mir im Innersten verhundertfacht:
Jahreszeit im längsten meiner Jahre,
dunkler Tag und helle Nacht.

Neue Blumen riefest du aus meiner
jungen Erde, die sich dir ergab,
niemals öffneten sich Kelche reiner
als geweckt von deinem Zauberstab.

Meine Vögel bauten nicht, sie sangen...
Oh bewahre mir den schönsten Schrei:
Daß in die dem wagenden Verlagen
reines Maß gegeben sei.

IV

Wieviel Abschied ward uns beigebracht,
jedes Mal so oft wir uns begrüßten,
wieviel Morgen war in unsrer süßsten
Nacht gelöst und übertraf die Nacht.

Alles ist den Liebenden verteilter,
jeder Teil hat Glanz des Gegenteils;
Glücke stürzen sich mit übereilter
Sorge in die Bahn des nächsten Pfeils.

Doch der Gott zeigt niemals zwei Gesichter
und hat nicht Gefallen am Verrat,
nur: er ist ein Bringer und Verzichter,
und sein Mund hat beides gleich bejaht.

V

Etwas vom Munde des Gotts
spiegelt im Mund der Geliebten
zwischen Tröstung und Trotz.

Dieser unsägliche Zug,
spieglend im Mund der Geliebten,
macht sie ihm ähnlich genug.

VI

Wie Kinder, wenn sie genügend versteckt sind im Spiel,
im gewählten Versteck fürchten und wünschen zugleich,
dennoch gefunden zu sein:
also müßtest du mich, hinter dir selber, Geliebte,
zwiefach erwarten. Oh, das Gefundensein,
wenn dann die ganze
Angst der Verborgenheit, dieses verschworene Eins-Sein
mit Verduckung und Schutz
umschlägt und, als zu lang schon
heuchelnd verhaltene Lust, den erhofftesten Schrecken,
selig, der Findung vermehrt.

Lockt dich nicht so viel Sichtbarkeit? Denk:
aus dem jubelnden Zugriff des Andern
plötzlich, Überfluß, übergehn!....

VII

Was der Mann mitbrächte an Habgier,
diese Spur Mord, ist nicht zwischen uns, Schwester.
Nichts von dem gefährlich verwandelten
Hasse des Andern, der uns beneidet

um Unerreichbarkeit. Wir, wir, Geliebte,
Gleiche im innigen Anderssein,
wir erfüllen einander das Unerfüllbare
ganz ohne Täuschung, leise es tauschend.

VIII

Auf der Flucht ins Unsichtbare,
die uns alle vorüberreißt,
dieses reine Verweilen,
das nach dir heißt.

In dem immer Verlieren,
darin alles uns flieht,
dieses wache Behalten,
das dich sieht.

Wie man einen Grabstein liest,
les ich meinen Lebens-Stein:
Weil du so schön geschiehst,
will ich sein.



Kaum wie zu dem Zweiten, wie zum Dritten,
zu dem Liebes-Gott, der kühlt und bannt,
hob sich Deine Stimme zu Melitten,
wie ein Bogen angespannt.

Daß Dir die, die durch die Gartenwege
immer wie ein Flüchtling ging,
jenen Pfeil an Deine Sehne lege,
welcher Richtung ist und Ding.

Daß sie Dir die unbewährte Waage
prüfe durch gewagtestes Gewicht,
und Dein Zeitlosbleiben überrage
mit dem stundenvollen Angesicht.

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer, aus der vierten (I-III) ,  fünften (IV-VIII) und sechsten Antwort (Schluß: "Kaum wie zu dem Zweiten..."), Ragaz, 4. / 5. / 6. / 7. / 12.Juli 1924)