Neunter Brief
von Erika Mitterer

(für Weihnachten 1924 mit einem Büchlein Gedichte)

Da trat das Leben vor mich hin und fragte
was Du mir tatst, daß ich Dir so verfiel.
Und ob es nicht ein flüchtig Frühlingsspiel
gewesen sei, das ich umsonst beklagte.

Ich lächelte und ward zum ersten Male
nun ganz gewiß und sprach: "Er hob die Welt
aus sich und gab sie, rein und unentstellt
in meiner Hände zitternd-schwache Schale.

Ich aber trug sie nicht, sie fiel... " Und dann?
"Wars wieder leer, als hätt ich nichts besessen!"
Du lebst! "Ja! Weinend, weil ich nicht vergessen,
und jubelnd, daß ich nicht vergessen kann!"

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (
Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer, neunter Brief, Weihnachten 1924)