Siebente Antwort
Für Erika


I

Du "einig Weiß", ich mag Dich nicht zerspalten
in das, was abwehrt, und in das, was ruft;
es sei, nach ihrem Wesen abgestuft,
jegliche Farbe klar in Dir enthalten.

Du, Deiner sieben Farben Inbegriff,
empfinde, was die Vielfalt Dir verspricht,
doch, wenn sie Dich verwirrt, so übertriff
sie immer neu mit Deinem weißen Licht.

2

Es kann wohl ein so fernes Ziel erreichen,
das Aufschaun, das aus unsern Tiefen steigt -;
irgend ein Stern ist immer zugeneigt:
so kann es ein so fernes Ziel erreichen.

Scheint es für uns zu zittern, jenes Zeichen,
in einem Himmel, der beständig schweigt?
Es giebt sich Mühe, unserm Blick zu gleichen,
wenn es in unser Zögern niederzeigt.

3

Du, die mir duftet: süß,
wie eben die Linden:
da ich Dich wiedergrüß,
hoff ich zu binden?

Mein ich, mit meinem Gruß,
Dich zu befrein?....
träum es nur, oder tu`s -:
beides heißt sein.

4

Warst Du`s, die ich im starken Traum umfing
und an mich hielt - und der ich mit dem Munde
ablöste von der linken Brust ein Ding,
ein braunes Glasaug wie von einem Hunde,
womit die Kinder spielen....., oder Reh,
wie es als Spielzeug dient? - Ich nahm es mir
erschrocken von den Lippen. Und ich seh,
wie ich Dir`s zeige und es dann verlier.
Du aber, die das alles nicht erschreckte,
hobst Dein Gesicht, als sagte das genug.
Und es schien schauender, seit die entdeckte
geküßte Brust das Auge nicht mehr trug.

(Traum: Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1924)

5

Könnt es sein! Die Freundin macht die Reise
zu dem Freund, den sie von fern erkannt,
und an ihn gelehnt, erfährt sie leise,
ob er wirklich ihr Gefühl umspannt.

Könnt sie Gast sein eine Sommerwoche
in des Turms umschließendem Geviert,
daß die unbeschreibliche Epoche
nicht im offnen Warten sich verliert.

Selbst der Irrtum hätte nicht die grobe
Kraft, die widerruft und die entzweit:
denn das süße Wagnis der Probe
wäre stolz und ohne Eitelkeit.

6

Was hilft es uns, daß ich den Bogen spanne,
wenn ich den Pfeil nicht an die Sehne leg?
Ich bin ein Zeichen, Pappel oder Tanne,
Du aber bist die Sonne auf dem Weg.

Die Sonne kommt nicht, wenn sie ihn erhellt.
Der Weg ist nicht für sie, wenn auch beschienen.
Was auf den Wegen wandert, ist das Dienen,
dem zuviel Sonne sich entgegenstellt.

7

Halb ruf ich Dich, halb halt ich Dich von mir,
daß ich den schönen Zauber nicht verstöre,
ich sag mir, wenn ich Deine Pulse höre:
bist Du nicht hier?

Was liegt an Deinem oder meinem Ort?
Sooft Du mich empfängst in Deinem Innern,
erschrocken wie durch künftiges Erinnern -:
bin ich nicht dort?

8

Denk, es wäre alles anders, als
wir es uns gewährten mittlerweile,
und ich hätte Höhe nicht, noch Steile
für die Neigung Deines Wasserfalls.

Würde alles dann vergebens sein?
Oder sind wir fähig, im Gewahren
frei zu sein von Maßen und von Jahren
und entzücken uns - auch noch im Nein ?

9

Daß ich mich im Grauen Deiner Nächte
löste, Du mir zugetrautes Kind,
und Dir jene Ungeheuer brächte,
riesiger, wie sie im Tierkreis sind.

Bär und Löwe werden sterngestaltet,
wenn wir sie ins Ganze einbeziehn.
Schlafe fühlend: Himmel sind entfaltet
und die Fernen sind verliehn.

(wieder: Muzot, nur für eine kleine Weile diesmal)

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer, siebente Antwort, Meilen, Ende Juli 1924, Muzot, August 1924 )