Zweite Antwort
Für E. M.
Ach, wie beschäftigt wir sind,
weil die Libellen einander nicht
genügend anstaunen,
weil ihre Pracht
ihnen einander kein Rätsel ist
und kaum Versuchung,
sondern ein Gegenwert.
Genau dem, was sie opfern,
ihrer Lebenskürze genau
entspricht es, so prächtig zu sein,
und von der Pracht, die sie leicht zueinander spielt,
geht ihre Liebe nicht über.
Wir, vor Überflüssen stehen wir, Verschwendungen,
oder, plötzlich, vor zuwenig
Dasein.
Über das Übermaß Aufgangs,
mit dem die Geliebte heraufglänzt,
verfügt ein sich trübender Tag.
Wind zerstreut ihren Duft,
und ein stürzender Bach überstimmt sie...
Wer war ihr gewachsen, wer ihrer Übermacht,
wer ertrug sie auch nur,
da sie heraufkam -,
und bald schon,
da noch Mittag nicht ist,
begreift er das Andere nicht: ihre Armut.
Seine und ihre.
Oder des Reichtums Unbrauchbarkeit,
oder das nicht mehr Zugleichsein
im Reichtum.
Oder die Überflüsse verschütten ihn,
sein eignes Bewundern
war zu wagend gewölbt,
bricht!
(Tempel sind rechnender.)
Ach, sein Bewundern verpflichtete
jene Bewunderte -, aber
wer ist herrlich aus Pflicht?
Aus Entzücken war sie`s vielleicht einen Augenblick,
wie wo versteigert wird,
schrie den nächst höheren Preis,
immer noch höhern...,
bis die Erwerbung,
getrieben,
unter die Sterne sprang:
Sternbild,
beiden unmöglich.
(Als ein erster Entwurf.)
Aus: Die Gedichte
1922 bis 1926 (Briefwechsel in Gedichten zwischen Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer,
zweite Antwort, Chateau
de
Muzot/ Sierre (Valais), Schweiz, am Abend des 17.Juni 1924)